Von der grauen Maus zur Euphoriemacht: Auch ohne den Aufstieg ist der TSB Gmünd der große Sieger dieser Regionalliga-Saison. Der Rückblick auf Rekorde, Reifeprozesse und eine bittere Schlussszene.

Es war die beste Saison der Vereinsgeschichte: Starker Tabellendritter ist der TSB Gmünd mit 52:8 Punkten – eine Bilanz, die sonst immer für den Sprung in die 3. Liga gereicht hätte. Nur waren der TV Bittenfeld II (53:7) und die SG Köndringen/Teningen (58:2) einen Hauch besser. Dennoch herrscht bei den „Jets“ nicht etwa Enttäuschung, sondern purer Stolz. Innerhalb eines Jahres wandelte sich der TSB vom Abstiegskandidaten zur Spitzenmannschaft. Eine Entwicklung, die weit über bloße Ergebnisse hinausgeht. „Ich wusste um unser Potenzial und dass wir uns weiterentwickeln würden“, bilanziert Kapitän Wolfgang Bächle: „Aber dass wir so einschlagen würden, damit habe ich nicht gerechnet.“
Beeindruckend ist die Konstanz, mit der die Gmünder 26 ihrer 30 Partien gewonnen haben. Ein Verdienst von Trainer Aaron Fröhlich, der so gleich in seiner Premierensaison alles übertrumpfte, was er als Spielmacher einst erreicht hatte. Momente der völligen Zufriedenheit gibt es beim 34-Jährigen, der Woche für Woche alles aus seinen Jungs herauskitzelt, nur selten. Sein Fazit klingt daher fast schon hyper-euphorisch: „Wir haben ziemlich am Maximum abgeliefert und punktemäßig weit übererfüllt. Deshalb gibt es keinen Grund, etwas Negatives zu finden.“ Doch es gibt die zwei verpassten Chancen, denen auch Fröhlich hinterher trauert. Beim 29:33 in Bittenfeld „wäre mehr möglich gewesen“. Noch mehr schmerzte das Heimspiel gegen Waiblingen, als der TSB die Chance zum Siegtreffer hatte, dann aber einen Konter zum 27:28 kassierte. Im Rückblick ist es dieser eine Moment, der den möglichen Aufstieg kostete.

Was überwiegt, ist eine noch nie dagewesene Euphorie. Die einstmals „graue Maus“ bot mitreißende Handballfeste vor über 1000 Fans, rang mit totaler Leidenschaft den TV Bittenfeld II mit 32:29 nieder. „Das Umfeld hat sich stärker gefunden und wir haben eine Basis geschaffen, die es für uns in den nächsten fünf Jahren rosig aussehen lässt“, findet Fröhlich. Sein Team bleibt jung, hungrig und gefestigt. Wenngleich mit Jonas Schwenk (HSG Bargau/Bettringen) und Louis Waldraff (SV Fellbach) zwei talentierte Eigengewächse verloren gehen. Ein Verlust, der auch auf den Zerfall der Zweiten Mannschaft zurückzuführen ist. Deren bitterer Gang in die Bezirksoberliga wird beim TSB noch lange nachwirken. Eben weil der Erfolg nicht auf dem schnellen Weg, sondern durch nachhaltige Entwicklung gelingen soll.
Was das Regionalliga-Flaggschiff angeht, träumen die Verantwortlichen insgeheim schon von mehr. „Die 3. Liga kann ein Thema werden“, sagt der Sportliche Leiter Jürgen Rilli, verweist dabei auf die steile Entwicklung und die Rückkehr von Yannik Leichs nach fünf Jahren beim TV Plochingen. Als Fast-Aufsteiger wird der TSB in der neuen Saison wohl automatisch zum Favoritenkreis gezählt werden. „Wir werden weiterhin unser Maximum bringen“, will Fröhlich den angestoßenen Prozess fortführen: „In dieser Saison war das gut genug für Platz drei. Vielleicht aber gibt es ab September fünf bessere Mannschaften, die auch andere Mittel zur Verfügung haben. Für mich ist nur wichtig, dass wir uns steigern.“ Bei einem Durchschnittsalter von 24,8 Jahren scheinen weitere Höhenflüge vorprogrammiert: Es ist ein Prime-Team, das seine eigentliche Prime-Time erst noch vor sich hat.
DER PRIMUS

Tom Abt (30 Spiele, 198/17 Tore): Der Denker und Lenker des Gmünder Spiels. Ganz wie sein Trainer ihn geformt hat, ist er als Mittelmann und Führungsspieler nicht wegzudenken – wohlgemerkt mit erst 22 Jahren. In den Jahren zuvor auch mal abgetaucht, geht der Co-Kapitän auch in hitzigen Phasen voran und zählt zur Elite der Regionalliga. Auch kleinere Verletzungen konnten ihn nicht ausbremsen. Mehr Verschnaufpausen würden ihm gut tun, um das hohe Niveau zu halten.
DIE MUSTERSCHÜLER

Niklas Burtsche (30 Spiele, 245/80 Tore): Ohne Anlaufschwierigkeiten meisterte der neue Linksaußen den Sprung um zwei Ligen nach oben und avancierte zum drittbesten Werfer der gesamten Regionalliga. Alleine charakterlich schon ein Riesengewinn, ist ein Arbeiter und lässt auch defensiv keine Sekunde nach. Offensiv ein Künstler, der das Publikum mit seinen feinen Drehern und frechen Lupfern begeistert.
Andreas Maier (30 Spiele, 64 Tore): Entwickelte sich vom härtesten zum vielleicht besten Abwehrspieler der Liga. Obwohl die Schiedsrichter ihn besonders im Auge haben, handelte er sich weniger Hinausstellungen ein als in den Jahren zuvor und dirigierte so das neue Prunkstück. Vorne traf er aus allen Lagen, etablierte sich zunehmend als Fixpunkt am Kreis.

Kai Schäffner (30 Spiele, 119/6 Tore): Das Paradebeispiel für die individuellen Reifeprozesse. Der Rückraumregisseur bildete mit Abt ein kongeniales Duo, spielte extrem mannschaftsdienlich und hätte sich auch selbst mehr Würfe nehmen können. Oft unterschätzt wird seine starke Deckungsarbeit auf der Halbposition.
Stefan Scholz (29 Spiele, 114 Tore): Auch der Linkshänder hat voll eingeschlagen, ist in seinem zweiten Jahr beim TSB beinahe ein ganz anderer Spieler als zuvor. Das Team spielt für den Halbrechten, er spielt für das Team und packt gerne seine überraschenden Schlagwürfe aus.

Daniel Mühleisen (30 Spiele, 20 Tore): Die klare Nummer eins verbuchte insgesamt zwar weniger Paraden als in den Vorjahren, weil sich die Abwehr festigte. In den entscheidenden Momenten zeigte der Beachhandball-Nationaltorwart seine Klasse und entschied die knappen Duelle. Trotz der hohen Belastung im Beruf und wenig Trainingszeiten „einfach überragend“, wie sein Trainer sagt.
Wolfgang Bächle (28 Spiele, 74 Tore): Erzielte nicht die meisten, aber dafür die wichtigen Tore in engen Phasen. Als Rechtsaußen war er in den vergangenen Jahren meist auf sich allein gestellt. Pausen tun ihm gut, was sich in der Rückrunde mit einer klaren Steigerung bemerkbar machte. Nur noch acht Treffer fehlen dem Routinier bis zum 1000 Tore-Rekord seines Trainers.
Patrick Watzl (30 Spiele, 62 Tore): Der junge Linkshänder hat seinen Durchbruch geschafft. Ursprünglich im Rückraum beheimatet, zeigte er auch auf Rechtsaußen seine Treffsicherheit und entwickelte sich gleichzeitig zu einem der besten Abwehrspieler im Team. Zuverlässig und stabil, auch unter Druck.
DIE ZWEITE REIHE

Stephan Mühleisen (26 Spiele, 25 Tore): Im zweiten Jahr nach seiner schweren Schulterverletzung wieder auf dem Weg zu alter Topform, bevor ihn eine schwere Erkältung in der Rückrunde kurz ausbremste. Sobald er gebraucht wurde, lieferte der agile Kreisläufer ab – sowohl defensiv als auch offensiv.
Jonas Waldenmaier (30 Spiele, 45 Tore): Wurde ausschließlich im Angriff eingesetzt, was ihm im Vergleich zu seinen Kollegen zu weniger Spielzeit verhalf. Vorne war das Kraftpaket stets eine gefährliche Waffe – immer anspielbar, vom Gegner kaum zu halten und mit einer hohen Trefferquote.
Christian Waibel (24 Spiele): Mit Routine und Ruhe kehrte der zweifache Vater aus seiner Familienzeit zurück und war eine wertvolle Stütze für das junge Team. Im Abwehrzentrum nicht mehr ganz so ungestüm wie früher, sondern weise.
Devin Immer (29 Spiele): Stand meist im Schatten von Stammkeeper Mühleisen, nahm dieses schwere Los aber charakterstark an. Im Heimspiel gegen Albstadt glänzte er mit entscheidenden Paraden – der Beweis, dass er mehr Spielzeiten verdient gehabt hätte.
Arian Pleißner (10 Spiele, 9 Tore): Eine Saison zum Vergessen. Erst zum Start raus, dann nach kurzem Comeback erneut verletzt. Erst zum Ende der Saison konnte der Rückraumshooter sein enormes Potenzial aufblitzen lassen – ein Vorgeschmack auf mehr?
Jonathan Leichs (22 Spiele, 1 Tor): Nur Kurzeinsätze, aber seine körperliche Präsenz in der Abwehr ist beeindruckend. Nach einer schmerzhaften Schulterentzündung war sein Tor im letzten Heimspiel ein emotionaler Lohn.
DIE ABGÄNGER

Jonas Schwenk (27 Spiele, 12 Tore): Hatte es schwer hinter der etablierten Konkurrenz, blieb aber dran und überzeugte bei seinen kurzen Einsätzen besonders im Mittelblock. Um aus der Reservistenrolle hinauszuwachsen, wechselt er drei Ligen nach unten zum Heimatverein.
Louis Waldraff (28 Spiele, 21 Tore): Der Youngster kam meist von der Bank und war immer ein belebendes Element. Als Abt in Schutterwald vom Feld humpelte, sorgte Waldraff mit Tempo und Mut für den Sieg. Hatte eigentlich schon zugesagt, nach der späten Bekanntgabe seines Wechsels außen vor.
FEHLTE ENTSCHULDIGT
Tobias Klemm: Verletzte sich im letzten Testspiel schwer, blieb aber stets gut gelaunter Teil des Teams und machte sogar schon das Aufwärmprogramm wieder mit. Den Konkurrenzkampf im Tor wird er bald mit neuer Stärke befeuern.
DER LEHRER
Aaron Fröhlich: Was Dragos Oprea zu kühl und Michael Stettner hingegen zu kumpelhaft anpackte, vereint der Nachfolger in idealer Balance. Seine unumstrittene Autorität hat dem TSB nicht nur eine spielerische Handschrift verliehen, sondern eine ganz neue Haltung: Gewinner-Mentalität ohne Ausreden. Wie schon als Spieler will Fröhlich eine Ära prägen – und vielleicht sogar den Drittliga-Aufstieg nachholen, der ihm einst verwehrt blieb.

(Text: Nico Schoch - Bilder: Enrico Immer, Frank Bieg)