Das Ende der Leidenszeit: Stephan Mühleisen vor dem Comeback

Handball, Oberliga: Genau ein Jahr nach seiner schweren Schulterverletzung sehnt Stephan Mühleisen seine Rückkehr auf das Spielfeld herbei. Viel Geduld und harte Arbeit waren nötig, um den TSB Gmünd nun im Abstiegskampf wieder voranzubringen.

 

Eigentlich war 2022 ein traumhaftes Jahr für Stephan Mühleisen. Mit den „Otternasen“ aus Bartenbach wurde der Kreisläufer deutscher Beachhandball-Meister und Siebter beim EHF Champions Cup, mit dem TSB Gmünd mischte er die Spitzengruppe der Oberliga auf. „Es war die beste Saison die ich in Gmünd, wenn nicht sogar in meinem Leben gespielt habe“, blickt der 26-Jährige leicht wehmütig zurück.

 

Denn dann kam der 17.Dezember. Dass sich der damals viertplatzierte TSB dem Spitzenreiter TV Plochingen knapp mit 24:26 geschlagen geben musste, geriet zur Nebensache. Es lief die 48.Minute, als Mühleisen bei einer Abwehraktion mit dem werfenden TVP-Torjäger Felix Stahl zusammenprallte und zu Boden ging. Sofort wusste der Gmünder: Die rechte Schulter hat´s erwischt – wieder einmal. Diese hatte sich Mühleisen fünf Jahre zuvor schon einmal ausgekugelt, verheilte aber wieder. Als Jugendspieler mit 17 Jahren hatte es die linke Schulter erwischt, die dann erfolgreich operiert wurde. Bei den Zweikämpfen auf der Kreisläuferposition geht es wenig zimperlich zu.

 

Wenige Tage nach dem Plochingen-Spiel folgte die niederschmetternde Diagnose: „Die Stabilität war nicht mehr gegeben, weil die Sehne an einer großen Stelle eingerissen war und erst wieder anwachsen musste.“ Anfang Februar wurde Mühleisen in der Sportklinik Markgröningen operiert. Ein halbes Jahr brauchte es, bis die Schulter wieder voll belastbar war. Anschließend galt es Kraft aufzubauen. Da es sich um die Wurfhand handelte, galt für Mühleisen: „Lieber gebe ich mir einen Monat mehr Zeit, um vom Kopf her wieder frei zu sein.“

 

Sein Fehlen war ein schwerer Schlag für den TSB und mit ein Grund für die durchwachsene sportliche Bilanz. Denn in den vergangenen vier Jahren – gemeinsam mit Zwillingsbruder Daniel kam er von der SV Remshalden – hat sich Mühleisen nicht nur offensiv, sondern allen voran in der Abwehrzentrale unverzichtbar gemacht. „Wir brauchen jemanden, der das Team pusht und die Körpersprache vorlebt“, betont Trainer Michael Stettner: „Genau das ist Steph. Er ist ein ganz großer Faktor für uns.“ Wenngleich Positionskollege Jonas Waldenmaier sowie Youngster Jonas Schwenk bravourös in die Bresche sprangen: Mit dem zuverlässigen Stephan Mühleisen fehlte das wichtigste Puzzleteil.

 

Besonders persönlich war es eine schwere Zeit für den Maschinenbau-Ingenieur. Die Weihnachtstage musste er mit einer Bandage verbringen. An eigenständiges Autofahren war lange Zeit gar nicht zu denken. In der Halle musste er sich erst an die Zuschauerrolle gewöhnen: „Es hat schon wieder in den Fingern gejuckt. Den Jungs dann nicht helfen zu können, das war richtig bitter.“ Zumal auch der Beachhandball-Sommer und die erhoffte Titelverteidigung mit den Otternasen gelaufen waren. Mühleisen versuchte das Beste draus zu machen. Als die Ärzte grünes Licht gaben, führte sein Weg direkt in den Kraftraum. Unterkörper und Beintraining standen zunächst auf dem Programm – eben all das, was die Schulter nicht belastet. „Ein kleiner positiver Effekt“, findet Mühleisen. Denn ein bisschen mehr Masse schadet am Kreis nie.

 

Längst neigt sich die Leidenszeit ihrem Ende entgegen. Von September an tastete sich Mühleisen immer mehr ans Mannschaftstraining heran, setzte gleichzeitig sein individuelles Programm fort. Stets war Vorsicht das Gebot der Stunde. Denn das Vertrauen in den eigenen Körper, es war bislang noch nicht hundertprozentig vorhanden. Umso verblüffter war der Rückkehrer, als er Mitte November nach dem TSB-Heimspiel gegen den TV Willstätt (29:30) urplötzlich Glückwunschnachrichten empfing. Am Zeitnehmertisch war ihm fälschlicherweise ein Tor zugeschrieben worden. Mühleisen stand zwar auf der Aufstellung, saß an diesem Abend aber lediglich auf der Bank und führte die obligatorische Statistikliste für seinen Coach.

 

Der kann das nahende Comeback ebenfalls kaum erwarten. „Steph hat einen unfassbar weiten Weg hinter sich, auf dem er viel Geduld aufbringen musste und hart an sich gearbeitet hat“, weiß Stettner. Immer wieder hatte er sich das Feedback seines Leistungsträgers eingeholt. In der Abwehr agierte Mühleisen zwar noch leicht gehandicapt. Doch in den vergangenen Wochen gab es die Überlegung, ihn zumindest im Angriff einzusetzen. „Doch das wäre das falsche Signal gewesen“, hatte Michael Stettner diese Idee doch schnell wieder verworfen: „Wir wollten nichts erzwingen. Er muss und soll sich herantasten an die Spielhärte. Man darf jetzt keine Wunderdinge erwarten, immerhin war er ein Jahr lang weg.“

 

Selbstverständlich ruhen aber viele Hoffnungen auf Stephan Mühleisen, wenn der TSB seiner Saison in der bevorstehenden Abstiegsrunde die entscheidende Wendung geben will. Vorsichtig optimistisch sind alle Beteiligten, dass der Kreisläufer bereits an diesem Samstag (20 Uhr / Markweghalle) im so wichtigen Kellerduell bei der SG H2Ku Herrenberg aufs Feld zurückkehrt – fast auf den Tag ein Jahr nach der schweren Verletzung. Stephan Mühleisen zwinkert da nur und lacht – er ist einfach froh, dass die Leidenszeit endlich vorbei ist. 

 

(Text: Nico Schoch - Fotos: Enrico Immer)