"Vierter wollen wir nicht werden" - TSB-Eigengewächs und Nationalspieler Kai Häfner startet ambitioniert in die EM

Beim TSB Gmnd groß geworden, nun geht er bei der EM voran: Kai Häfner ist in der deutschen Nationalmannschaft die Nummer eins auf Halbrechts. Der 30-jährige Linkshänder aus Schwäbisch Gmünd strahlt vor dem ersten Gruppenspiel viel Optimismus aus: „Trotz aller Verletzungssorgen haben wir sehr viel Potenzial im Kader.“ Im Interview spricht er über coole Typen und familiären Rückhalt.


Stressfrei geht anders: Nur elf Tage nach dem letzten Punktspiel startet Kai Häfner (30) an diesem Donnerstag mit Deutschland in die Handball-EM. „Wenn alles gut läuft, ist das Halbfinale auf jeden Fall drin“, sagt der Rückraumspieler aus Gmünd.

Herr Häfner, an Heiligabend treffen Sie sich traditionell mit Ihren Ex-Mitspielern vom TSB Gmünd.
Häfner: Ja, aber das musste dieses Jahr leider ausfallen.

Weil es der Liga-Alltag nicht zugelassen hat?
Genau. Wir hatten am 26. und 29. Dezember Punktspiele. Da hat es einfach nicht gereicht, nach Gmünd zu fahren.

Konnten Sie wenigstens ein bisschen Weihnachten und Silvester feiern?
Nicht wirklich. Aber in den wenigen Stunden habe ich versucht, Feiertagsstimmung aufkommen und die Seele baumeln zu lassen. An Weihnachten war meine Familie bei uns in Kassel, und an Silvester hat mich mein Bruder Max besucht.

Am 2. Januar ging’s dann schon zur Nationalmannschaft. Und es blieben gerade einmal sechs Tage Vorbereitung auf die EM.
Ein paar Tage länger wären schon gut gewesen. Wir haben mit dem Nationalteam drei, vier Tage trainiert und hatten zwei Spiele. Das war sehr knackig, und Zeit zum Ausruhen blieb auch keine. Aber den anderen Nationen geht’s ja genauso.

Hinzu kommen die Reisestrazapen.
Stimmt, ich habe in den vergangenen Tagen in drei verschiedenen Hotels gewohnt. Ein Ruhetag wäre mir definitiv lieber gewesen als der Reisestress.

Das wird während der EM nicht besser – mit Spielorten in Norwegen, Schweden und Österreich ...
Das ist nicht optimal, aber wir nehmen es so an. Wenn die Reisen gut organisiert sind, ist alles o.k. für uns.

Sie klingen sehr optimistisch.
Ja, trotz aller Verletzungssorgen haben wir sehr viel Potenzial im Kader, und ich traue unserer Mannschaft einiges zu.

Das kann viel bedeuten.
Wenn alles gut läuft, können wir das Halbfinale auf jeden Fall erreichen. Und da wollen wir dann natürlich nicht Vierter werden, sondern eine Medaille mitnehmen. Aber es ist ein weiter Weg bis dahin.

Viele tun sich schwer, die Leistungsstärke der deutschen Mannschaft einzuschätzen.
Ja, wir wissen wirklich nicht genau, in welche Richtung es geht. Bei so einer EM entwickelt sich eine eigene Dynamik, wichtig ist vor allem, dass wir gut reinkommen.

Sie haben nach den zwei abschließenden Testspielen gesagt, dass „an der einen oder anderen Stelle noch Handlungsbedarf besteht“. Welche Stellen meinen Sie?
Eigentlich überall ein bisschen. Wir haben gegen Österreich viele klare Chancen liegen gelassen. Haben den Vorsprung zu unkonzentriert aus der Hand gegeben. Wir hatten einige Anspielfehler. Das müssen wir abstellen und aus diesen Fehlern lernen.

Nach dem Ausfall von Franz Semper sind Sie die klare Nummer eins auf Halbrechts.
Ich hatte ja schon bei der EM 2016, als ich nachnominiert wurde, sehr viele Einsatzzeiten. Und bei Olympia habe ich auch in jedem Spiel angefangen. Tatsache ist aber auch, dass man ein Turnier mit so vielen Spielen nicht alleine wuppen kann. Jeder von uns wird seine Anteile bekommen, jeder von muss abliefern. Und ich freue mich darauf.

Für Semper wurde David Schmidt nachnominiert – der spielt mit Ihrem Bruder Max gemeinsam beim TVB 1898 Stuttgart.
Dadurch habe ich natürlich ein anderes Verhältnis zu David. Ich kannte ihn vorher nicht persönlich, aber Max hat mir ein paar Geschichten über ihn erzählt. Und ich vertraue voll auf den Geschmack meines Bruders, dass David ein cooler Typ ist ...

Wie schafft man es, sich in so kurzer Zeit kennenzulernen und dann gemeinsam eine EM zu spielen?
Ach, das ist kein Problem. Am Flughafen beispielsweise geht man zusammen Kaffee trinken, unterhält sich. Das geht sehr schnell. Ich muss ohnehin sagen, dass die Stimmung im Team sehr gut ist, obwohl viele das erste Mal dabei sind.

Sie gehören inzwischen zu den Führungsspielern ...
... und ich gehe gerne voran. Das bin ich vom Verein gewohnt, und das ist auch mein eigener Anspruch. Ich habe kein Problem damit, Meinungsführer zu sein.

Bis Sommer 2019 waren Sie Kapitän beim TSV Hannover-Burgdorf. Inwieweit hat Sie der Wechsel zu MT Melsungen weitergebracht?
Zunächst einmal war es eine bewusste Entscheidung von mir. Wie gesagt, ich war fünf Jahre Kapitän in Hannover, hatte ein gewisses Standing. Jetzt muss ich mir alles neu erarbeiten, der Trainer, das Team und das Umfeld sind neu. Ich bin jetzt raus aus der Wohlfühloase, aber das bringt mich sowohl sportlich als auch persönlich weiter.

Zurück zur EM: Spanien, Niederlande und Lettland – die Gruppe ist machbar, oder?
Ja, das ist sie auf jeden Fall.

Im Falle eines EM-Sieges gibt’s für die deutsche Mannschaft 250 000 Euro Prämie. Mit was würden Sie sich belohnen?
Ich wusste gar nicht, dass wir für den EM-Sieg 250 000 Euro bekommen. Damit habe ich mich nicht befasst. Ja, das ist ein schöner Nebeneffekt, und mir würde sicherlich etwas einfallen.

Wie wichtig ist es Ihnen, dass Ihre Familie bei den Spielen dabei ist?
Natürlich ist das schön, aber viele Spiele bei der EM sind unter Woche, das ist oft schwierig zu organisieren. Meine Frau Saskia ist fast immer dabei, bei meinem Dad weiß ich aus Erfahrung, dass er es spontan macht. Meine Familie verfolgt aber alle Spiele am Fernseher mit. Es tut gut, das zu wissen.

Info: Deutschland startet an diesem Donnerstag (Anpfiff: 18.15 Uhr) gegen die Niederlande ins EM-Turnier. Außerdem geht’s in der Gruppenphase am Samstag (18.15 Uhr) gegen den Titelverteidiger Spanien und am Montag (18.15 Uhr) gegen Lettland.

© Gmünder Tagespost 08.01.2020 17:50 / Alexander Haag

Dürfen wir uns dieses Jahr wieder auf solche Jubelbilder wie bereits beim EM-Titel vor drei Jahren freuen? Die gesamte TSB-Familie drückt dir die Daumen, lieber Kai ! (Bilder: Mario Klaiber / Gmünder Tagespost)