
Wer nach 60 Minuten Highspeed-Handball erst einmal durchschnaufen musste, dem bot sich ein konfuses Stimmungsbild: Auf der einen Hallenseite feierten Spieler und Fans des TSB Gmünd ihren Coup, als wären sie selbst gerade aufgestiegen, in einer anderen Ecke kauerten die Bittenfelder mit hängenden Köpfen. Die Gäste waren mit einer breiten Fanmasse angereist, um ihren Aufstieg vorzeitig fix zu machen. Auch Jürgen Schweikardt, der Geschäftsführer des Bundesligisten, hatte sich gut gelaunt unter den eigenen Anhang gemischt. Während sich hingegen Dragos Oprea vor Spielbeginn diplomatisch gab: „Ich wünsche mir einfach ein schönes Spiel.“ Der Ex-TSB-Trainer coacht aktuell noch die Bittenfelder U19, sein Neffe Luca Eckert läuft für den TVB II auf.
Temporeiches Topspiel auf hohem Niveau
Enttäuscht wurde keiner der 1200 Fans: Tempo, Tempo, Tempo war von der ersten Minute an geboten. Die beiden relativ jungen Teams wollten gleich unter Beweis stellen, warum sie so laut an die Tür zur 3. Liga klopfen. Der TSB eröffnete das Torefest durch Stefan Scholz und Kai Schäffner. Nach dem frühen 3:2 (4.) wendete sich das Blatt aber zunächst, weil die Bittenfelder Rückraumschützen Jan-Luca Mauch und Fabian Lucas quasi nach Belieben trafen. Doch die Gmünder Abwehr steigerte sich und mit ihr der Torwart Daniel Mühleisen. Vom 6:9 (10.) drehte der TSB auf 11:9 (14.), weil Andreas Maier gegen seine Ex-Kollegen aus allen Lagen traf und Tom Abt entschlossen voran ging.
Die vollbesetzte Halle bebte, da der TSB die knappe Führung weiterhin behauptete, diese mit ein bisschen mehr Abschlussglück sogar hätte ausbauen können. Allerdings hatten auch die Gäste in Nick Lehmann einen Klasseakteur zwischen den Pfosten und so wendete sich das Blatt. Nach dem 14:12 (22.) verzweifelten die Gmünder acht Minuten lang an Lehmann und machten im Nervenkrimi nicht die beste Figur. Während TVB-Routinier Michael Seiz ganz cool zum 15:16 (30.) verwandelte, vergab Niklas Burtsche im Gegenzug schon seinen zweiten Strafwurf. Den besseren Start nach der Pause erwischte der TSB, doch auch Abt und Schäffner scheiterten im Siebenmeter-Duell an Lehmann.
Selbst ein Drei Tore-Rückstand schockt den TSB nicht
Würde der TSB erneut in einem Spitzenspiel einbrechen? Von wegen. Abt & Co. ließen nicht locker und wenn es einmal nicht lief, dann halfen auch überraschende Momente. Linkshänder Stefan Scholz verwandelte einen von Kai Schäffner begonnenen Kempa-Trick unter großem Jubel zum 19:20 (39.). Der TSB hielt den Anschluss und ließ sich selbst vom 21:24 (48.) nicht aus der Ruhe bringen.
Die Gästefans feierten da schon siegesgewiss. Denn nur wenige rechneten mit diesem famosen Gmünder Endspurt. Genau zur richtigen Zeit schwang sich Mühleisen zu einem alles überragenden Rückhalt auf. Vorne fand Schäffner die Lücken, erzielte mit purer Gewalt den Ausgleich und sogar den 25:24-Führungstreffer (52.). Spätestens da hielt es niemanden mehr auf seinem Sitzplatz – zu fesselnd war der hektische Schlagabtausch.
Am Ende feiern die Gmünder
Der TSB hatte mehr Kraftreserven, bewies aber auch endlich die vermisste Nervenstärke. Burtsche kehrte zurück an den Siebenmeterstrich und versenkte ganz cool, bei seinem 29:26 (55.) waren die euphorisierten Jets vollends auf die Siegerstraße eingebogen. Zwischenzeitlich hatte Gästeakteur Luca Eckert für ein hartes Foul an Tom Abt die Rote Karte gesehen. Der Gmünder Spielmacher avancierte gemeinsam mit Mühleisen zum absoluten Matchwinner und grinste hinterher: „Das war ein Handballfest – zum Glück war es letztlich ein Gmünder Fest.“
Diese Party eröffnete Abt höchstpersönlich mit seinem achten Treffer zum 30:26 (56.). Zu diesem Zeitpunkt hätte der TSB nach der 29:33-Hinspielniederlage sogar den bei Punktgleichheit entscheidenden direkten Vergleich gewonnen. Dazu kam es nicht, weil Bittenfeld sich ein letztes Mal aufbäumte. TSB-Keeper Mühleisen ärgerte sich noch über „zwei oder drei Bälle, die ich hätte haben müssen.“ Den umjubelten Schlusspunkt setzte die Gmünder Flügelzange: Kapitän Wolfgang Bächle, der sich keinen einzigen Fehlwurf erlaubt hatte, kam von Rechtsaußen frei zum Wurf und entschied sich im letzten Moment für das überraschende Abspiel auf Linksaußen. Kollege Burtsche dankte es ihm und machte den 32:29-Heimsieg perfekt.
Den Aufstieg nicht in der eigenen Hand
Sowohl von der Stimmung als auch von der spielerischen Klasse war es ein Statement-Sieg des TSB. „Wir haben den Zuschauern aus beiden Lagern ein sehr geiles Spiel mit tollen Torhütern und guten Angriffsaktionen geboten“, freute sich Aaron Fröhlich. Der Gmünder Trainer war „überglücklich“, dass sein Team im vierten Anlauf endlich auch ein Top-Team der Liga bezwingen konnte. Die SG Köndringen/Teningen (52:2 Punkte) ist inzwischen sicher aufgestiegen, der TV Bittenfeld II (49:7) hingegen liegt nur noch hauchdünn vor dem TSB (48:8). Der TSB Gmünd muss auch seine verbleibenden beiden Spiele gegen den TSV Blaustein (26.April) sowie bei der HSG Albstadt (03.Mai) gewinnen und gleichzeitig auf einen Bittenfelder Ausrutscher gegen Schutterwald oder Plochingen hoffen – nur dann kann der erstmalige Sprung in Liga drei gelingen.
„Mir fehlt die Fantasie, dass Bittenfeld nach dieser tadellosen Saison tatsächlich noch ein Spiel verliert“, gab Fröhlich ganz offen zu. Doch das „Finale“ gegen den direkten Rivalen könnte die Karten völlig neu gemischt haben. Unversucht lassen werden die Gmünder jedenfalls nichts. „Wir haben die Körner, wir haben Lust“, versichert Fröhlich. Einen besseren Beweis dafür hätte seine Mannschaft gar nicht erbringen können.
TSB Jets – TV Bittenfeld 32:29 (15:16)
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TSB: Daniel Mühleisen, Devin Immer – Tom Abt (8/1), Kai Schäffner (5), Niklas Burtsche (5/2), Andreas Maier (4), Stefan Scholz (4), Wolfgang Bächle (3), Arian Pleißner (1), Patrick Watzl (1), Jonas Waldenmaier (1), Jonas Schwenk, Stephan Mühleisen, Christian Waibel, Louis Waldraff, Jonathan LeichsTVB II: Nick Lehmann, Joshua Gantner, Benedikt Starkloff – Fabian Lucas (8), Jan-Luca Mauch (7), Michael Seiz (7/4), Maurice Widmaier (5), Yannick Wissmann (1), Luca Eckert (1), Nico Bacani, Dalio Uskok, Finn Eberle, Sören Winger, Sebastian Luithardt, Felix Hoffmann, Alexander BischoffSiebenmeter: TSB 3/7 – TVB 4/4Zeitstrafen: TSB 6 Minuten – TVB 10 MinutenRote Karte: Luca Eckert (TVB/54./Hartes Foulspiel)Schiedsrichter: Oliver Muttach (TuS Ringsheim), Nick Schillinger (SG Köndringen/Teningen)
Zuschauer: 1200
„Das Publikum hat uns getragen“: Stimmen zum Spiel
Simon Fröhlich, Co-Trainer TSB: „Mich freut es so sehr für die Mannschaft, die sich selbst bewiesen hat, gegen ein Spitzenteam gewinnen zu können. Dass wir so ein enges Ding auf unsere Seite gezogen haben, gibt uns brutal viel Motivation und Glaube für die Zukunft. Wir konnten zum Schluss in der Abwehr zulegen, sind uns vorne treu geblieben und haben uns die Tore erkämpft – das hat den Unterschied gemacht.“
Jürgen Rilli, Sportlicher Leiter TSB: „Das war Werbung für den Handballsport. Beide Mannschaften haben mit ihrer Spielweise dazu beigetragen und auch die Zuschauer, die die Sporthalle zum Beben gebracht haben.“
Alexander Heib, TVB-Trainer: „In der Kabine war ich echt sauer, da müssen die Emotionen auch einmal raus. Natürlich hatten wir etwas vorbereitet und wollten feiern, doch es war ein hochverdienter Sieg für Gmünd. Wir haben leider im Mittelblock unser schlechtestes Spiel seit langem gemacht. Daran hatte Gmünd einen großen Anteil, trotz dem Rückstand haben sie es in die Hand genommen und hatten mit Tom Abt den überragenden Spieler, der uns heute gefehlt hat.“
Kai Schäffner, TSB-Rückraumass: „Wir haben nicht an den Aufstieg, sondern nur ans Gewinnen gedacht. Vielleicht waren wir deshalb ein bisschen lockerer als der Gegner. Am Ende noch einmal die Energie einzubringen, das klappt nur vor solch vollen Rängen. Das hat uns mitgerissen und unfassbar viel Spaß gemacht. Darauf trainiert man das ganze Jahr hin.“
Tom Abt, TSB-Spielmacher: „Es war ein Handballfest und zum Glück dann ein Fest für uns. Das Publikum hat uns wirklich getragen, so eine unfassbare Stimmung haben wir noch nie erlebt. Anders als in den vorherigen Topspielen haben wir es dieses Mal geschafft, einen klaren Kopf zu behalten und in der Abwehr zu alter Stärke zu finden. So konnten wir einfache Tore erzielen, die uns in dieser späten Phase enorm geholfen haben.“
Patrick Watzl, TSB-Linkshänder: „Eines der geilsten Spieler meiner Laufbahn. Wir haben uns aus schwierigen Phasen herausgekämpft, in der zweiten Halbzeit geackert und nur wenig zugelassen. Die Emotionen bringen dich automatisch weiter.“
Andreas Maier, TSB-Allzweckwaffe: „Wir hatten es alle im Gefühl und ich habe diesen Sieg schon unter der Woche im Traum gesehen. Wir wussten, wenn wir weniger als 30 Gegentore kassieren, dann gewinnen wir – dieser Plan ist aufgegangen. Ein Riesenkompliment an die Fans, ich hoffe sehr, dass wir in Zukunft noch mehr dieser Spiele erleben werden. Wir haben alles getan, was in unserer Macht liegt und nun muss Bittenfeld mit dem Druck umgehen.“
(Text: Nico Schoch - Bilder: Enrico Immer, Frank Bieg)